Die Geschichte des Haltepunktes Gunzen

Im Oktober 1900 befasste sich der Gunzener Gemeinderat mit den Bedingungen der Königl. Eisenbahn-Be­triebsdirektion Zwickau bezüglich der Errichtung eines Haltepunkts, um die die Gemeinde die Behörden ersucht hatte. Es wurde gefordert, die drei bestehenden Bahnübergänge durch eine Unterführung zu erset­zen. Nachdem die Pläne des Haltepunkts von der Königl. Eisenbahn-Bauinspektion Adorf und die der Stra­ßenverlegung von der Königl. Straßen- und Wasser-Bauinspektion Plauen genehmigt worden waren, hielt man am 27. Mai 1907 mit den beteiligten Behörden und Grundstückseigentümern einen ersten Lokaltermin ab. Bis zum zweiten Lokaltermin am 15. Oktober 1907 hatten der Gemeindevorstand Emil Paulus und der Gemeindeälteste Albin Ficker alle Mühe, die unterschiedlichsten Interessen der Beteiligten anzugleichen. Aber auch an diesem Tage erklärten sich nur 9 der 18 Grundstückseigentümer mit den Bedingungen ein­verstanden. Die enorm hohen Entschädigungsforderungen der anderen brachten die Verhandlungen vorerst zum Scheitern.

Erst am 13. und 14. No­vember konnten nach 22-stündigem Ringen im Gasthof Gunzen Einigung mit den Be­hörden erzielt und alle Kaufverträge abge­schlossen werden. Am 26. November 1907 war in dem in Plauen erscheinenden „Vogt­ländischen Anzeiger und Tageblatt“ zu le­sen, dass nicht die an­geblich rückständigen Anschauungen einiger Gunzener Gutsbesitzer oder deren Desinteresse den Bau des Haltepunkts verzögert haben, wie mehrfach in den Zeitungen zu lesen war, sondern die mit diesem Bau verbundene „Beseitigung mehrerer für viele Gutsbesitzer wichtiger und bequemer Übergänge. Wenn für alle Zeiten viel längere, zum Teil doppelt so weite und teilweise auch steilere Wege nach den Feldern benutzt werden sollen, so seien die langwierigen Verhandlungen wohl kein Wunder.“

Historisches Bild vom Haltepunkt Gunzen

Als die Übernahme der Kosten durch den Staat vom Ministerium der Finanzen im Februar 1908 bestätigt wurde, konnte endlich mit dem Bau begonnen werden. Das Stationsgebäude errichtete der Gunzener Bauunternehmer Gustav Pöhland. Am 26. Oktober 1908 erfolgte um 9.30 Uhr die Übergabe der fertiggestellten „Kommunikationswege“ an die Gemeinde. Feststimmung unter die Einwohner brachte eine Mitteilung der Königl. Generaldirektion der Sächsischen Staatseisenbahnen mit folgendem Wortlaut:

,,Am 1. November dieses Jahres wird der an der Linie Chemnitz – Adorf zwischen den Stationen Zwota Bf. und Markneukirchen neuerrichtete
Haltepunkt Gunzen
dem öffentlichen Personen- und Gepäckverkehre übergeben.
Über die auf dem Haltepunkt Gunzen verkehrenden Züge
gibt der Winterfahrplan 1908/09 Auskunft.“

(Die Station „Zwota Bf.“ heißt seit 01.05.1909 „Zwotental“ und die Station „Markneukirchen“ seit 15.05.1935 „Siebenbrunn“.) 

Alter Triebwagen am HP Gunzen

Um 14.45 Uhr hielt der erste Zug auf dem Hp. Gunzen, mit dem auch die Ehrengäste der Bahnverwaltung aus Adorf eintrafen. Dazu hieß es im „Vogtländischen Anzeiger und Tageblatt“ vier Tage später: ,,Eine zahlreiche Menschenmenge begrüßte den Zug mit Hochrufen und bekränzte beide Lokomotiven mit Blumengirlanden und ge­schmückten Fichtenbäumchen. An der zweiten Lokomotive aber wurde ein großes Plakat angebracht: Weihe der Halte­stelle Gunzen am 1. November 1908, die nun die frohe Kunde in die Welt tragen sollte, dass der seit mehr als 20 Jahren ge­hegte Wunsch der umliegenden Anwohner erfüllt worden ist.“

Der erste Stationswärter der neuen Haltestelle war Adolf Jacob. Ihm folgte 1912 Johann Brühschwein. Schon fast zum Inventar gehörte Edith Schwarz, die den Hp. bis 1967 liebevoll betreute. Seit dem 1. Mai 1971 war auch der Hp. Gunzen eine unbesetzte Verkehrsstelle, wie es im Amtsdeutsch heißt. 

In den ersten Jahren verkehrten Züge mit Dampfloks der Baureihe 94. Später folgten die Baureihen 75, 86 und 58. Von 1970 bis 1997 waren Dieselloks der BR 110 auf diesem Streckenabschnitt unterwegs. Danach fuhren dort bis zur Einstellung des Reiseverkehrs am 8. Dezember 2012 die weiß-grünen Triebwagen der Vogtland­bahn. Für Aufsehen sorgte der spektakuläre Diebstahl der „Nasenuhr“ Ende September 2010. Ein 24-jähriger DB-Mitarbeiter aus dem Kreis Zwickau wollte sie ohne Auftrag auf eigene Faust restaurieren und angeblich an einem anderen Bahnhof anbringen. Die Bundespolizei fand das „Diebesgut“, und seit 15. April 2011 hängt die Uhr wieder am alten Platz. Das Haltepunktgebäude wurde 1997 unter Denkmalschutz gestellt und 2011 an Christoph Kopp aus Bad Nauheim verkauft.

 

Die Abkoppelung des Dorfes vom SPNV erfolgte schrittweise. Ab 10. Dezember 2006 gab es morgens 3- bzw. 2-mal Schienenersatzverkehr (SEV) mit Kleinbussen, die nicht über Gunzen fuhren. Tagsüber fuhren 4 Trieb­wagen und Abends 1- bzw. 2-mal SEV. Ab 28. Februar 2011 fuhren Montags bis Freitags alle 8 Zugpaare als SEV und nur Sonnabends und Sonntags 4 Zugpaare in der Tagesmitte als VBG-Triebwagen auf der Schiene mit Halt in Gunzen. Seit 8. Dezember 2012 findet kein planmäßiger Reiseverkehr mehr statt. Am 28. September 2015 übten die Freiwilligen Feuerwehren von Schöneck und Gunzen nahe dem Haltepunkt Gunzen die Personenrettung aus einem nur scheinbar verunglückten VB-Triebwagen.

Dampflok in Gunzen

Für 2017 hat die DB-Netz beim Eisenbahnbundesamt die Stilllegung beantragt. Das will der neue Besitzer des Haltepunktsgebäudes unbedingt ver­hindern. Die DB-AG würde die Strecke Adorf – Zwotental für 196.000 € verkaufen bzw. für 15.700 € jährlich verpachten. Dazu kämen noch Anschluss­kosten in Adorf und Zwoten­tal von zusammen 15.000 € im Jahr. Zu diesen Konditionen wollte die „Deutsche Regionaleisenbahn“ als einziger ernsthafter Bewerber keinen Betrei­bervertrag abschließen.
(Abb. A, B u. C) 

Quelle: Aus dem Buch „170 Jahre Eisenbahn im Vogtland, 150 Jahre Eisenbahn im Egerland, 130 Jahre EB Graslitz – Klingenthal : Chronik und Topographie des Schienengrenzverkehrs im Vierländereck von Bayern, Böhmen, Sachsen und Thüringen“ von Werner Pöllmann.
An dieser Stelle danken wir Herrn Pöllmann für die freundliche Erlaubnis, Passagen aus seinem Buch übernehmen zu dürfen.

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